DIES ATER, 9. November 1923

 

Die Partei schien in Bayern auf dem Höhepunkt ihrer Entfaltung angelangt. Gleichzeitig aber schien auch der bayerischen Regierungspartei die Zeit gekommen, die allgemeine Unzufriedenheit mit dem Berliner Regiment jetzt durch einen Vorstoß auszunutzen und damit das Reich überhaupt zu sprengen. Hitler seinerseits war fest entschlossen, dies nicht zuzulassen und die Abneigung gegen Berlin seinerseits zu einem geschlossenen und Gesammelten Vorstoß gegen die Reichsregierung als solche auszunutzen. Die Vorgänge, die zum sogenannten Hitler-Putsch führten, sind bekannt und würden den Rahmen dieses Buches zu sehr erweitern. Am 9. November 1923, am 5. Jahrestag der Schmach der Novemberrevolte, wollte man den entscheidenden Schlag führen. Im zuversichtlichen Glauben an die eidlichen Verpflichtungen von Kahr, Lossow und Seißer (Regierung, Wehrmacht und Polizei) wurde in der Nacht vom 8. Zum 9. November das neue Deutschland ausgerufen und die Reichsregierung für abgesetzt erklärt. Am nächsten Tage sollte der Vormarsch auf Berlin angetreten werden. Heute wissen wir, daß Herr von Kahr als Exponent Mittelsbachscher katholischer Bestrebungen eine ganz andere Aktion für den 12. November vorgesehen hatte. So wurde die Bewegung, ohne es zu wissen, durch ihren Vorstoß zum Retter der Reichseinheit.

 

Um die Mittagszeit des 9. November brachen an der Feldherrnhalle in München die ersten der waffenlos vormarschierenden, begeistert singenden Freiheitskolonnen im verräterischen Feuerüberfall der Polizei zusammen. 18 Tote und viele Verwundete waren das erste gewaltige Blutopfer. Neben Hitler schritt General Ludendorff, neben Ludendorff ich selbst als damaliger oberster SA-Führer. Wie durch ein Wunder wurden Hitler und Ludendorff gerettet. Ich selbst stürzte durch zwei Schüsse schwer verwundet. Jäh und grausam hatte das Knattern der Maschinengewehreden Jubelzerrissen, die Hoffnung auf Freiheit gemordet. Wieder einmal, wie so manchmal in der deutschen Geschichte, hat Verrat den Sieg verhindert. Kaum emporgeblüht, schien die junge Bewegung vernichtet, die Anhänger versprengt, die Führer in Gefängnissen, verwundet oder ins Ausland verbannt. Den Schwachen, von neuem verzagt, schien Deutschland nun endgültig verloren.

 

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Aber bald zeigte es sich, daß dieses Opfer nicht umsonst gewesen war. Die Blutsaat ging wunderbar auf. Die Kämpfer, die Aktivisten, schlossen sich fester denn je zusammen. Hitler selbst war stärker, gereister, zukunftssicherer denn je zuvor. Noch während er in der Festung faß, schien die Lage hoffnungslos. Doch kaum herausgekommen, zeigte es sich, wie ungeheuer die Anziehungskraft dieses Propheten und Führers war. Kaum hatte er die Fahne wieder in seine Fäuste genommen, so scharten sich die alten Kämpfer wieder um ihn, und Tausende von Neuen kamen hinzu. Jetzt nicht mehr allein in Bayern, nein, auch in Norddeutschland hatte nun die Bewegung Fuß gefaßt. Mit dem Marsch auf die Feldherrnhalle war die junge Bewegung in die Weltgeschichte eingetreten, hatte sie die Führung und das Primat in dem nun beginnenden Kampf um Freiheit und Ehre, Arbeit und Brot übernommen. Keine andere Organisation konnte ihr dies in Zukunst streitig machen, Es war eine bürgerliche Regierung gewesen, auf deren Befehl die nationalsozialistischen Kämpfer an der Feldherrnhalle zusammengeschossen worden waren. Damit fiel nun auch bei vielen braven deutschen Arbeitern das letzte Mißtrauen gegen die Bewegung. Die Bürgerlichen Parteien konnten nun nicht mehr dem Volke vorlügen, daß sie nationale Belange vertreten würden. An der Feldherrnhalle hatten sie ihr wahres Gesicht gezeigt und dort hatte der Nationalsozialismus endgültig der Bourgeoisie den von ihr verzerrten Begriff des Nationalismus entrissen, genau so, wie die Bewegung es nicht länger mehr zuließ, daß die Sozialdemokraten sich zum Hüter des Sozialismus machten.

 

So wie die Bürgerlichen den hehren Begriff des Nationalismus, das heißt, die Vertretung der Existenzbedingung des ganzen Volkes, verzerrt hatten zu einem Hurrapatriotismus, der seine Wurzel meist im Alkohol und im Profit hatte, so hatten die Sozialdemokraten den reinen Begriff des Sozialismus, das heißt, die Forderung auf Existenzberechtigung des einzelnen, und vor allem des Dienstes an der Gesamtheit des Volkes herabgewürdigt zu einer öden Lohnund Magenfrage. In zwei große Lager gespalten, hie Bürgertum und hie Proletariat, stand sich Deutschland gegenüber. Das Bürgertum erschien als Träger des Nationalismus, gehaßt von der Arbeiterschaft als Sinnbild des Zwanges und der Unterdrückung, das Proletariat als Träger des Sozialismus, gehaßt und gefürchtet von der feigen Bourgeoisie als Sinnbild der Zerstörung und der Beseitigung des Privatbesitzes. Beide Begriffe schienen einander auszuschließen, in starrer Gegensätzlichkeit gegenüberzustehen, sündigten die einen an der Nation, so die anderen am Volk. Hier gab es keinen Brückenschlag, hier gab es keine Versöhnung. Hitler erkannte, daß, solange die beiden Begriffe derartig verzerrt die Spaltung des Volkes herbeigeführt hatten, keine Einigung möglich war. Deshalb entriß er beiden Parteien ihr Symbol, schmolz sie in dem Tiegel unserer Weltanschauung zu einer neuen Synthese zusammen und schuf damit den Nationalsozialismus, das heißt, die einige, einzige und unauslöschliche Verbindung beider Begriffe in ihrer tiefsten, schönsten Bedeutung. Er machte den Arbeitern klar, daß es keinen Sozialismus geben kann, keine sozialistische Gerechtigkeit, ohne daß man nicht bereit wäre, die Notwendigkeiten der ganzen Nation anzuerkennen. Wer das Los des einzelnen bessern will, muß bereit sein, das Los der gesamten Nation zu bessern. Er überzeugte zugleich die Anhänger des Bürgertums, daß sie niemals zur geschlossenen Kraft der Nation gelangen könnten, wenn sie nicht bereit wären, jedem einzelnen Volksgenossen die ihm zukommenden Rechte zu geben, wenn sie nicht bereit wären, das Los auch des ärmsten Volksgenossen als ihr eigenstes Interesse zu betrachten. Er machte jenen beiden klar, daß Nationalismus und Sozialismus gebieterisch einander forderten, aber niemals sich voneinander ausschließen könnten, und indem er so beide Begriffe zu einer Weltanschauung verschmolz, mußten zwangsläufig die Träger derselben sich einander zeigen und zu einer Einheit werden, zu Geschlossenheit des deutschen Volkes. So wird es immer das größte und gewaltigste Verdienst Adolf Hitlers bleiben, daß er die Kluft zwischen Proletariat und Bürgertum nicht überbrückte, sondern daß er ebenso den Marxismus wie auch die bürgerlichen Parteien in diesen Abgrund schleuderte, damit er sich schließen konnte, um über die Vernichtung von Klassen und Parteien zur Einheit der Nation und Geschlossenheit des Volkes zu gelangen.